Recap
Es ist tatsächlich schon sechs Jahre her, seit ich beschloss, meine Firma abzuwickeln und wieder in eine Festanstellung zu wechseln. Manchmal fragen mich Leute, ob ich die Entscheidung bereue. Die Antwort ist nein. Meistens.
Ich hab gerade gründlich aufgeräumt, viele Ecken standen voll mit Zeug, das ich lange nicht benutzt habe. In einer Ecke fand ich eine Dokumentenrolle mit einem Plakat darin:
Das ist ein Werbeplakat, das ich anlässlich des Race4Hospiz Benefizrennens 2016 entworfen und verwendet hatte. Das Rennen fand im Februar 2016 in Essen statt, wenige Monate zuvor war der Vorstand des Race4Hospiz Vereins bei uns in Siegburg gewesen und hatte uns gefragt, ob wir mit neuer Software das Rennen unterstützen würden. Benötigt wurde eine Software, die die Einsätze der Fahrer koordiniert, die Teams zusammenbringt und die Organisation des Rennens unterstützt. Es gab einen Vorgänger, der aber nicht mehr die benötigte Leistung hatte.
Wir sagten zu und realisierten das Projekt “TeamControl”. Ich denke recht emotional daran zurück, weil das sowohl eines meiner Lieblingsprojekte war, als auch den Anstoß gab für die Entscheidung, nicht länger gegen die Digitalisierungsunlust des Mittelstandes anzukämpfen. Als Softwareprojekt war es hoch erfolgreich - in weniger als 4 Monaten haben wir die Software zum Renntag pünktlich und fehlerfrei hingestellt, einschließlich spezialisierter NFC-Hardware zur Erkennung der Fahrer am Check-In. Am Renntag hat beim ersten Einsatz alles funktioniert, was uns sehr stolz gemacht hat. Die Software und ihr Nutzen wurde sehr gelobt.
Wir haben das Projekt für den gemeinnützigen Verein und die gute Sache gemacht, pro bono, sind also nicht dafür bezahlt worden. Aus Begeisterung haben wir soviel Aufwand reingesteckt, dass es uns fast in finanzielle Schwierigkeiten gebracht hätte, weil am Ende gut drei Monate Umsatz fehlten. Ich habe die Software auch anderen Veranstaltern von Rennen angeboten, aber die winkten ab: Kein Interesse, kein Budget. Wirtschaftlich war TeamControl ein Desaster. Nach vielen Dutzend Gesprächen mit Rennbahnbetreibern und Motorsportclubs war klar: Das würden wir zumindest in Deutschland nicht verkaufen. Auch die Kontakte zu den teilnehmenden Firmen verliefen im Sande. Wer Kart fahren will, will deshalb noch lange keine Software beauftragen.
Eine prinzipiell ablehnende Haltung gegenüber Software ist mir vielfach begegnet. Da fällt mir zB der Inhaber eines mittelgroßen Unternehmens ein, der auf die Frage, ob digitale Zeiterfassung nicht hilfreich sein könnte, abwinkte mit: “Dann kann ich ja nicht mehr bescheißen.” Oder die säuselnde Vorstandssekretärin einer anderen Firma, die mich wissen liess, man habe keine digitalen Lücken zu schließen, schließlich gebe es Standardsoftware, vielen Dank. Welches Argument will man da bringen?
Digitalisierung braucht Mut und Phantasie
Wenn uns Digitalisierung gelungen ist, dann stets deshalb, weil es Vorreiter im Unternehmen gab, Menschen mit Phantasie und Mut zur Innovation. Mir fällt da der Mitarbeiter eines großen Energieunternehmes ein, dem die mangelhaften Suchmöglichkeiten im SAP-System ein Dorn im Auge waren - und der in der Lage war, 50k EUR “Spielgeld” zu beschaffen. Ein Betrag, für den man ansonsten in SAP-Projekten nicht mal die Anforderungsanalyse finanzieren kann… aber für uns war’s genug: Die blitzschnelle, voll integrierte Volltextsuche auf Basis von Apache Lucene war zwar keine Standardsoftware, aber ein absoluter Hit und vom Start weg eine der meistgenutzten SAP Anwendungen dort.
Diese mutigen Vorreiter sind selten. Es sind Menschen, die über den Tellerrand schauen können. Gleichzeitig braucht es auch ein wenig Budget, sonst ist keinem geholfen. Hier stehen Softwarefirmen nicht selten vor einem Dilemma: Kleine Organisationen haben Mut und Flexibilität, aber meistens wenig Geld. Große Organisationen haben zwar Geld, aber auch Politik, Abstimmungen, Befindlichkeiten, Vorschriften und so viele Mitsprecher, dass am Ende gar nichts passiert.
Als Unternehmer braucht man also entweder günstige, billig herzustellende Produkte in großer Zahl für die kleine Kundschaft. Oder aber Geduld und Nerven für die großen Kunden, denen man dann am besten nur Berater für Zeit verkauft, kein Werk. Das ist allerdings ein Geschäft, das ich nie attraktiv fand.
Also, Strich drunter: Meine Entscheidung, die Software Berater aufzulösen, war richtig. Ich allein war nicht dazu in der Lage, das Konzept “individuelle Softwareerstellung” wirtschaftlich erfolgreich zu machen. Kein Partner war in Sicht, die Veränderung somit zwingend geboten.
Heute habe ich weit weniger Verantwortung, obwohl ich in der Zwischenzeit eine weit größere Anzahl von Menschen geführt habe. Meine Nerven werden geschont, weil ich mich nicht um Personalbuchhaltung kümmern muss, um Umsatzsteuer und Verträge mit Lieferanten. Die ständige Furcht vor ausbleibendem Umsatz raubt mir nicht mehr den Schlaf. Und das ist nicht so daher gesagt: Mir geht es körperlich besser, seit dieser Druck weg ist.
Dass ich im Gegenzug die Flexibilität und Innovation vermisse, stimmt ebenso. Es st auch richtig, dass mich “Großbuden-Themen” abstoßen, in denen es stets um Gleichförmigkeit geht und nie um Wirtschaftlichkeit. Aber es gibt immer einen Preis zu zahlen.