Unglaublich Agil
Agil zu sein ist das A und O. Alle wollen es, vor allem große Organisationen sehen darin einen Ausweg aus der selbst geschaffenen Bewegungsunfähigkeit. Spotify ist als Vorbild in aller Munde. Aber kann es funktionieren, einfach die Schweden zu kopieren?
Agil ist toll, haben sie gesagt. Seid agil, haben sie gesagt. Der Duden übersetzt das Adjektiv mit “von großer Beweglichkeit zeugend; regsam und wendig” – wer wollte das nicht auch sein? Zudem wird agil einer Sprache zugerechnet, die hohe Allgemeinbildung voraussetzt, was ja auf den Verwender schließen lässt, dass dieser jene auch mitbringt. Passt doch.
“Große Beweglichkeit” klingt zudem leichtgewichtig, effizient und ist daher wahrscheinlich kostengünstig. Aktionäre lieben kostengünstig. “Schwerfällig = teuer” scheint das Gegenteil davon zu sein. Vielleicht liegt es daran, dass gefühlt jedes Unternehmen eifrig bemüht ist klarzustellen, wie agil man bereits sei?
Und wer über Agilität in Unternehmen spricht, kommt an Spotify nicht vorbei. Das 2008 in Schweden gegründete Unternehmen scheint Vorbild zu sein für alle Agilität. Ende 2018 hatte Spotify gut 3.600 Mitarbeiter, und war zum ersten Mal profitabel. Das Durchschnittsalter der Angestellten lag lange Zeit unter 30. In welcher Weise ist das alles mit DAX100-Namen vergleichbar?
Und doch: Die Telekom will wie Spotify sein, die ING Diba sowieso. Die Commerzbank ist dabei und Versicherungen wie die AXA oder “meine” Zurich natürlich auch. Und viele mehr. Aber ziehen wir die richtigen Schlüsse, in dem wir so tun, als wären plötzlich die ganzen Dinosaurier-Branchen wie hippe Startups? Wir lesen: Agil wollen ist nicht gleich agil können und ING Mitarbeiter moppern gegen Radikalumbau. Es regt sich zuweilen Widerstand. Eine Quelle bei der Telekom berichtete mir, dass man dort jetzt zwar in Squads, Tribes und Chapters organisiere, sich aber praktisch gar nichts geändert habe: Es würden immer noch die gleichen Menschen auf die gleiche Weise zusammenarbeiten. Wie ist das möglich?
A propos Gewohnheit: Nachdem den Mitarbeitern in den vergangenen Jahrzehnten stoische Gelassenheit gegenüber bizarren Prozessmonstern eingetrichtert wurde, verlangt das Management jetzt plötzlich agile Effizienz. Woher soll die plötzlich entstehen? Wie und wozu soll das agile Produktteam noch Entscheidungen treffen, wenn Budget, Zeitplan und Arbeitsauftrag nach Wasserfall-Manier längst vom Controlling kontrolliert werden? Wie soll man jetzt aus Fehlern lernen, wenn systematisch verlangt wurde, keine zu machen? Wie Dinge ausprobieren, wenn Innovation vielseitige Formulare, monatelange Beantragung und zahlreiche Meetings erfordert?
Nein, die neue Agilität muss beinhalten, dass Prozesse reduziert werden, Controlling vollkommen anders aufgesetzt wird und Mitarbeiter vor allem eine weniger befehlsorientierte Kultur lernen müssen. Wer fliegen soll, muss sich bewegen können.
Vielleicht lautet die Erkenntnis aus dem Spotify-Modell ja, dass man Dinge neu denken muss, um neue Wege zu beschreiten. Spotify hat ein neues Modell für sich gefunden und dabei von niemandem kopiert. Wir können vielleicht (!) – wie Spotify – erfolgreich sein, wenn wir selber denken und nicht einfach anderer Leute Strategien kopieren.