Alles beim Alten
Wenn die Leute nach Digitalisierung rufen, meinen sie meistens: Weniger Nerv. Das ist alles schön und gut. Meistens bedeutet es aber in der Praxis auch, dass althergebrachte Vorgänge digital eins zu eins abgebildet werden.
Weniger im Bürgeramt anstehen, weil man den Ausweis online beantragen kann. Weniger Urlaubsantrag ausfüllen, weil es dafür ne nette App gibt. Weniger zum Briefkasten laufen, weil man die Krankmeldung auch online an die Versicherung schicken kann.
Das ist alles schön und gut. Meistens bedeutet es aber in der Praxis auch, dass althergebrachte Vorgänge digital 1:1 abgebildet werden. Das alte Dirks-Zitat erspare ich euch, könnt ihr ja bei Bedarf gern selber googeln. Das Problem dabei: You get what you pay for. Bunte Formulare zu digitalisieren erleichtert nicht zwangsläufig den Prozess.
Gerade ältere Organisationen mit einigen Jahrzehnten Betriebsdauer auf dem Buckel erweisen sich da als recht störrisch. Der gelbe Durchschlag muss in die Buchhaltung, der weisse ins Lager. Das hat immer schon so funktioniert. Es ist schwer, über die eigene Betriebsblindheit hinwegzusehen, aber unerlässlich, wenn man wirklich schlankere Strukturen ermöglichen will.
Bestellungen von Bürobedarf, Raumbuchungen, Reiseplanung… wenn es erst eine(n) Herrn oder Frau Mustermann gibt, der/die das immer schon gemacht hat dann ist es wichtig, genau hinzusehen. Ist die vorgesehenen Freigabeschleife wirklich unerlässlich? Muss der Stellvertreter-Prozess implementiert werden, nur weil sich zwei Kollegen nie so recht darüber einig waren, wer von beiden nun tatsächlich für etwas zuständig ist? Brauche ich das? Was bringt mir das?
Hier reden wir meistens weniger vom technischen Aspekt der Digitalisierung, mehr von der Begleitung des Wandels. Neudeutsch: Change Management. Die Leute müssen in der Veränderung mitgenommen werden, sonst findet das Neue keine Akzeptanz. Die Folgen wären dann Schatten-IT und gallische Dörfer.
Aber auch Anforderungsmanagement mit Durchsetzungskraft ist gefragt. Wenn man sich erstmal dazu durchgerungen hat, die eigenen Prozesse zu hinterfragen, ist es ein ==sicherer Weg in den Tod==, dabei möglichst viele (Un-)Beteiligte nach ihren Anforderungen zu befragen. Das Ergebnis wäre ein Sumpf von halbwahren, sich nicht selten widersprechenden Einzelaspekten, vollkommen unmöglich zu implementieren (auch wenn der Berater was anderes verspricht) und Garantie für späteres Projektdesaster.
Aber sowas muss es ja auch geben, dann hat das IT-F(r)ettchen wenigstens was zu erzählen. Auch schön.