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Sprechen wir über Geld

Um Stundensätze ranken sich viele Mythen. Wieso eigentlich? Eigentlich ist es ganz einfach: Die Einnahmen müssen höher als die Ausgaben sein.

Das durchschnittliche Gehalt eines Facharbeiters in der IT lag in 2015 bei 65.441 EUR brutto pro Jahr. Beim Arbeitnehmer kommen davon 43.303 EUR netto im Jahr an. “Hey” sagt der mathematisch nur durchschnittlich talentierte Mensch, “ich bekomme also 20,82 EUR pro Stunde. Wieso muss ich also für eingekaufte Leistung 80-120 EUR pro Stunde bezahlen? WUCHER!!1!”

Was stets ignoriert wird: Die Gesamtbelastung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer beträgt incl. Steuern und Sozialabgaben für dieses Bruttogehalt 76.824 EUR pro Jahr. Und auch die Anzahl der Arbeitsstunden schätzen viele zu hoch ein: Nicht 40 Stunden pro Woche sind wir produktiv, sondern mit Glück nur 28 oder sogar noch weniger. Am Ende kann man stolz sein, wenn man nach Urlaub und Feiertagen im Jahr trotz voller Stelle mehr als 1100 Stunden produktiv gearbeitet hat. In diesen Stunden müssen alle Kosten erwirtschaftet werden, damit liegt der Kostensatz pro Stunde schon bei 69,84 EUR. Wir erinnern uns: Der Arbeitnehmer vermutet weniger als ein Dritteln davon.

Damit nicht genug: Das Unternehmen muss eine Vielzahl von Nebenkosten erwirtschaften. Dazu zählen neben Ausstattung und Mieten natürlich Versicherungen und Beiträge, Fahrzeuge und Werbung und vieles mehr. Hier dürfen Sie selbst in bescheidenen Verhältnissen noch mal 10 EUR auf den Stundensatz aufschlagen. Macht 79,84 EUR. Reine Kosten. Pro Stunde. Netto. Ohne Gewinn.

Die Kunst der Selbstausbeutung

Viel wurde schon dazu geschrieben, wie ein selbständiger Einzelunternehmer seinen Stundensatz kalkulieren sollte, zB hier oder hier. Die Grundaussage bleibt die gleiche:

  • Beginnen Sie mit dem Ziel-Bruttogehalt
  • Berücksichtigen Sie Steuern & Versicherungen (Krankenversicherung, Altersvorsorge) die sonst ihr Arbeitgeber für Sie bezahlen würde
  • Ermitteln Sie eine realistische Anzahl verkaufbarer Stunden pro Jahr, berücksichtigen Sie dabei Urlaub, Krankheit und administrative Zeiten (Tipp: Nicht mehr als 75% ansetzen)
  • Teilen Sie die Summe aller Kosten durch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Stunden. Dies ergibt den Personalkostensatz 1 (PK1).
  • Schlagen Sie 20-30 Prozent Deckungsbeitrag auf. Dadurch werden zB Kosten für Ausstattung und Material gedeckt, aber auch der Gewinn des Unternehmens. Dies ergibt unseren Personalkostensatz 2 (PK2).
  • Schlagen Sie 19% Umsatzsteuer auf. Dies ergibt den Brutto-Stundensatz VK.

Ich habe das mal modellhaft durchgerechnet:

„gefühlter“ Stundensatz7,469,8411,8113,6315,4017,0618,8320,6822,4724,23
netto/ Monat1.1931.5751.8892.1802.4642.7293.0133.3083.5953.876
brutto/ Monat1.5002.0002.5003.0003.5004.0004.5005.0005.5006.000
brutto/ Jahr18.00024.00030.00036.00042.00048.00054.00060.00066.00072.000
incl AG Anteil21.51028.68035.85043.02150.19157.36164.25970.91077.56184.212
PK 119,5526,0732,5939,1145,6352,1558,4264,4670,5176,56
PK 225,4233,8942,3750,8459,3267,7975,9483,8091,6699,52
Brutto VK30,2540,3350,4260,5070,5980,6790,3799,73109,08118,43

AG-Betrag anhand von brutto-netto-rechner.info ermittelt. Rahmendaten: 2015er Tabelle, StKlasse 3, Kirche, 1 Kind, 40 Jahre alt, BaWü, gesetzl. Kv/Sv. Stundenzahl für PK 1: Effektiv 1100 Arbeitsstunden pro Jahr, Gemeinkostenzuschlag für PK 2: 30 Prozent

Spannende Erkenntnis hier: Wer sich selbst nur knapp mehr als den Mindestlohn zugesteht, darf bei solider Kalkulation nicht weniger als 30,25 EUR brutto pro Stunde verlangen. Der durchschnittliche deutsche Brutto-Jahreslohn bedingt einen Stundensatz nicht unter 50,42 EUR. Und unter 80 EUR pro Stunde dürfte es schwer sein, einen qualifizierten Facharbeiter wirtschaftlich zu entlohnen.

…besteht in schlechten Mathekenntnissen

Zwei Schlagzeilen aus den letzten Wochen möchte ich mal nebeneinander stellen:

  1. Studie: Berlin hat die meisten Freelancer in ganz Europa
  2. Pro-Kopf-Einkommen gedämpft! Berlin macht Deutschland ärmer

Ein Zufall? Das glaube ich nicht, Tim. Auch solche bizarr schlechten Ratschläge wie dieser hier führen dazu, dass gerade Einsteiger in die Selbständigkeit mit haarsträubend falschen Zahlen operieren.

Ein befreundeter Freelancer aus Berlin sagte mir: “Ich muss aufpassen, wie ich meinen Stundensatz gestalte. Es gibt einen nicht endenden Nachschub an Junior-Entwicklern hier, die auch für das kleinste Geld noch arbeiten.” Da fallen mir doch meine Gedanken zur Qualität von Softwareentwicklung ein…

Es ist doch absurd: Sind wir Kunde, wollen wir 45 Minuten beim Frisör sitzen und dafür 18 EUR zahlen. Am nächsten Tag schütteln wir dann voller Mitleid den Kopf, wenn die Angestellten der Frisöre vom Gehalt nicht leben können. Das ist falsch.

Ein gesundes Kostenbewusstsein würde uns helfen zu verstehen, dass wir nicht fordern dürfen, ohne bereit zu sein, dafür angemessen zu bezahlen. Und was “angemessen” ist, entscheidet zuerst die Mathematik.