Digitalisierung vs Diskretion
Digitalisierung begünstigt das Teilen von Informationen, nicht jedem ist das Recht. Wo Wagenburgmentalität und Verdrängen herrscht, möchte nicht jeder alles so genau wissen.
Die Snowden-Enthüllungen, Cablegate oder heute ganz frisch die Panama Papers zeigen einen Effekt, den es früher so nicht gab: Verrat1 durch einzelne kann unglaubliche Mengen an Information freisetzen. Wo noch vor 30 Jahren schlicht nicht die praktische Möglichkeit bestanden hätte, kompromittierende Dokumente zu vielen tausenden Vorgängen zu sammeln (stellen Sie sich einfach mal die Papiermenge vor) sind heute ein paar hundert Gigabyte auf einem winzigen USB-Stick kein Problem mehr.
Gerade die Pseudo-Digitalisierung durch Excel & Co. schafft endlose Datengräber, die leicht zu kopieren sind: Kundenlisten und Kalkulationen sind da nur die Spitze des Eisbergs. Aber es gibt auch das andere Extrem: Letztens traf ich zwei Unternehmer aus der Region, wir sprachen über Möglichkeiten des Softwareeinsatzes. Das Gespräch verlief sinngemäß so:
Ich: “Anstatt alles von Hand auszufüllen, wäre ja eine automatische Lösung vorteilhaft. Gerade bei so Sachen wie Stundenzetteln und Mindestlohn…”
U1: “Biste bekloppt? Wenn da rauskommt, dass wir länger arbeiten, dann kann ich den Laden zumachen. Nee, das bleibt fein Papier. Soll doch einer anfangen zu suchen.”
U2: “Genau. Ist ganz gut, dass nicht jeder alles weiss. Mit Software kann ich nichts mehr verstecken.”
Ich: ¯\_(ツ)_/¯
Da steht man da mit seinen schlauen Lösungen und kommt nicht zum Zug, weil sich die Chefs vom Computer nicht am Betrügen hindern lassen wollen. Gleiches gilt natürlich auch auf “niederen Ebenen”: Wer gerne mal ein wenig länger pausiert, sieht die Einführung von Zeiterfassungssystemen kritisch. Wer unordentlich arbeitet, mag keine Transparenz. Wer sich gerne rausredet, meidet schriftliche Aufzeichnungen. Auch an Effizienz hat nicht jeder das gleiche Interesse. Wagenburgmentalität und Silodenken tun ein Übriges hinzu.
Auch wenn vielleicht nicht alle so denken, wundert es nicht, dass bei mehr als der Hälfte der Unternehmen geringe Veränderungsbereitschaft als Hemmnis der Digitalisierung gesehen wird. Die gerne vorgeschobenen Begründungsklassiker “Fachkräftemangel” oder “unausgereifte Lösungen” sollte man also um “lieber nicht, wer weiss was wir da herausfinden” ergänzen. Schade eigentlich.
Dies soll keine Diskussion über die moralisch/gesellschaftliche Bewertung dieser Vorgänge sein. Fakt ist aber: Nur durch Informationsträger im Innern waren die Leaks möglich. Vor 30 Jahren hätten Snowden & Co. nicht derartig berichten können, weil es dazu keine Infrastruktur gab.