Besser selbstgemacht
Nach und nach kommen Nutzer auf die Idee, dass es vielleicht ein Risiko sein könnte, alle Informationen, alle Technologie aus der Hand zu geben und bei ganz wenigen Anbietern zu konzentrieren. No shit, sherlock? Erleben wir eine Renaissance des Selbermachens? Sinnvoll wäre es.
Wenn man etwas nur kurzzeitig braucht, kann es wirtschaftlich sein, zu mieten anstatt zu kaufen. Oder wenn man es nicht auslastet. Ich kaufe auch keine Bäckerei, nur weil ich morgens 6 Brötchen brauche. Wenn man den Mietgegenstand aber langfristig oder sehr intensiv benötigt, dann übersteigen die Mietkosten irgendwann den Kaufpreis - und steigen auch weiterhin.
Cloud ist billiger, haben sie uns gesagt. Den Finanzbuchhaltern war schnell klar: Billiger als Admin und Server ist kein Admin und kein Server. Man mietet die Dinge halt. Blöd an dem Plan ist nur: Er geht nicht auf. Amazon, Microsoft, Google & Co verdienen am Betrieb der Server - und zwar ganz erheblich. Um die 67 Milliarden USD Umsatz in 2022 allein für die großen drei, um genau zu sein. Und es gibt ja noch zahllose kleinere Anbieter. Dieses Geld zahlen die Nutzer. Denn wir dürfen nicht vergessen: “Die Cloud ist nur der Computer von jemand anderem.”
Und längst häuft sich die Kritik. Ein paar Beispiele:
- Singapore software vendor says own hardware in colo costs $400 million less than cloud
- Save $7 million on cloud by spending $600k on servers, says 37Signals’ David Heinemeier Hansson
- Public-Cloud-Dienste sind teurer als erwartet
Dazu kommt: Hat man erst mal einen Anbieter ausgewählt, ist der Wechsel nicht so trivial. Blöd, wenn der Anbieter des Vertrauens dann die Preise erhöht.
- Rekordinflation: Software und Cloud-Dienste werden teurer
- Cloud providers expected to raise prices in Europe
- SAP verärgert Kunden mit Preiserhöhung für Cloud-Dienste
… oder nicht funktioniert (weswegen man zusammen mit tausenden anderen Kunden auf dem Trockenen sitzt)
- 6 lessons from Cloudflare’s June 2022 outage
- Microsoft Azure: Netzwerkfehler legt weltweit zahlreiche Dienste lahm
- OVH blames hour-long global outage on human error during ‘routine’ network reconfiguration
Die Liste lässt sich fortsetzen, aber ich will dich nicht langweilen.
Aber wer macht denn da Betrieb?
“HipHop schmeckt -wie Pizza- besser selbstgemacht.”
Dendemann, ErSoIchSo
Manager lieben es, wenn sie Verantwortung delegieren können. Für Ressourcen, für Menschen, für Kosten. Kaum etwas wird in Bilanzen so sehr gehasst wie Personalkosten. Angebote as a Service sind da sofort attraktiv: Nur Sach-, keine Personalkosten.
Der Kampfruf gegen Initiativen zum selber machen lautete in den letzten Jahren häufig: “Aber wer macht denn da den Betrieb?” Lies: Wer kann verantwortlich gemacht werden? Nach Jahren der organisierten Unverantwortung ist das Personal nicht mehr qualifiziert, selbst für zuverlässigen Betrieb zu sorgen. Und da ist es schlicht viel einfacher, einem externen Anbieter Geld dafür zu geben, Dinge zu tun, die man selbst tun müsste - aber verlernt hat zu tun.
Und so erleben wir die selbst erfüllende Prophezeiung, dass bald alle in der Cloud sind. Weil alle allen hinterherlaufen.
Mastodon und “Die Sache mit dem selbermachen”
Wer in den letzten Monaten in Sachen Social Media aufgepasst hat, dem ist der Begriff Mastodon begegnet. Damit ist eine Software ähnlich zu Twitter gemeint, die ganz lustig ist. Spannender finde ich aber die generelle Idee des Fediverse:
Anstatt alle Nutzer auf eine gemeinsame technische Plattform unter Herrschaft eines einzigen Anbieter zu zwingen, schaffen wir ein dezentrales Netzwerk kleiner Gruppen. Jeder Nutzer gehört einer (beliebigen) Gruppe an, und kann mit allen Nutzern aller anderen Gruppen in Kontakt treten. Wer mag oder muss, betreibt einen eigenen Server, bildet eine eigene Gruppe. Das Zauberwort ist “Föderation”. Fühlt sich jemand an XMPP erinnert? Hier heisst das Protokoll dahinter ActivityPub und kommt so spannend daher wie die Jahreshauptversammlung im Sportverein. Es ist aber ziemlich bedeutend:
Denn es ist offensichtlich eine zutiefst liberale und auch antikapitalistische Sichtweise. Jeder darf mitspielen, die Hürden sind niedrig. Natürlich wäre jeder Monopolist gern der Anbieter eine Dienstleistung, die alle nutzen müssen. Welche Möglichkeiten man da hätte… Die Nutzer1 beginnen jedoch, das zu verstehen. Und betrachten eine allzu große Konzentration als mögliches Risiko.
Cloud Computing geht nicht weg, das ist nicht zu erwarten. Und das muss es auch gar nicht. Wichtig ist, dass wir Cloud richtig einsetzen: Als flexiblen Anbieter von Ressourcen, dessen Flexibilität aber auch ihren Preis hat. Und dessen Konzentration auf ganz wenige Anbieter uns deren Ideen und Gewinnmaximierung ausliefert.
Und wenn es dann um wichtige Teilaspekte geht, dann sollen wir uns nicht scheuen, auch mal Dinge selbst zu machen, selbst Verantwortung zu übernehmen. Damit wir handlungsfähig bleiben und kompetent, damit wir nicht ausgeliefert sind.
Nicht Lieschen Müller, nicht der 08/15 Standarduser. Die mieten sich weiterhin irgendwo ein. Das ist auch sicher in Ordnung so. Wichtig ist aber, dass Nutzer mit höheren Anforderungen überhaupt realistische Alternativen haben. Warum muss das Ministerium bei Facebook sein, oder die Hotline der Firma bei Whatsapp?